Mit gutem Beispiel vorangehen

Vor zehn Jahren kam Thomas Gurdon ans Eschweiler Berufskolleg. Ungeplant wurde er 14 Monate später Schulleiter.

Zehn Jahre Kein Tag ist wie der andere: In ungewöhnlichen Zeiten profitiert Thomas Gurdon von der Flexibilität, die ein Leiter eines Berufskollegs auch in „normalen“ Zeiten an den Tag legen muss.

Als Thomas Gurdon am 14. Juni 2011 als neuer stellvertretender Schulleiter seinen Dienst am Berufskolleg Eschweiler antrat, lautete der Plan des zu diesem Zeitpunkt 44-Jährigen eigentlich, zunächst einmal „hineinzuschnuppern“ und langsam aber sicher in die Schulleitung hineinzuwachsen. Dass er kaum 14 Monate später die Nachfolge von Manfred Hahnen als Leiter des damals mehr als 3000 Schülerinnen und Schüler zählenden Berufskollegs antreten würde, war definitiv nicht vorgesehen. Gut neun Jahre später blickt Thomas Gurdon nun aus einem „flexibel“ gestalteten Übergangsbüro auf sehr bewegte Zeiten mit zahlreichen planmäßigen und vielen unplanmäßigen Herausforderungen zurück. Vorhersehbar in Sachen zurückgehender Schülerzahlen aufgrund geburtenschwacher Jahrgänge. Unvorhersehbar in Sachen Unterbringung von Flüchtlingen in der schuleigenen Sporthalle, der Coronavirus-Pandemie, die alle Menschen nach wie vor beschäftigt, und der Hochwasserkatastrophe, die das BKE mit voller Wucht traf. Und, und, und...

Jeder Schultag eine Wundertüte

„Trotz allem bin ich nach wie vor der Meinung, den schönsten Job der Welt zu verrichten“, spricht Thomas Gurdon ein großes Wort gelassen aus – in der Überzeugung, dass neben der selbstverständlich notwendigen Professionalität ein Schuss Gelassenheit durchaus hilfreich ist. „Im Prinzip ist jedes Schuljahr, jede Schulwoche und jeder Schultag eine Wundertüte. Auch ohne Pandemie und Hochwasser“, berichtet der gebürtige Kölner.Und natürlich sei die aktuelle Situation geradezu absurd und jeder Kollege sowie alle Schülerinnen und Schüler davon merklich angefasst.

„Doch wir können es nicht rückwirkend ändern und müssen das Beste daraus machen“, so die auch ein wenig fatalistischen Gedanken von Thomas Gurdon, der vor einem knappen Jahrzehnt überrascht war, für die Nachfolge des (kommissarischen) Schulleiters Manfred Hahnen überhaupt in Betracht gezogen zu werden.„Die grundsätzliche Entscheidung, in Richtung Schulleitung zu gehen, ist bewusst gefallen. Aber ursprünglich hatte ich vor, mich als Stellvertreter mehrere Jahre einzuarbeiten. Außerdem war ich für das Amt des Leiters eines Berufskollegs eigentlich viel zu jung“, denkt der studierte Betriebswirtschaftler, der vom Berufskolleg Eifel in Kall nach Eschweiler wechselte, zurück.

Als aber seitens des Lehrerkollegiums der Wunsch, sich für das Amt des Schulleiters zu bewerben, an ihn herangetragen wurde und auch ein Gespräch mit dem Dezernenten in Köln positiv verlief, änderte Thomas Gurdon seine Meinung. Die Bewerbung war erfolgreich. Eine Entwicklung, die Thomas Gurdon nicht bereut hat. Im Gegenteil: „Es war ein Glücksgriff für mich. Weil diese Schule ein enormes Potenzial hatte und hat und man als Leiter die Möglichkeit bekommt, darauf großen Einfluss zu nehmen“, so sein Zwischenfazit.

Voraussetzungen, um als Schulleiter erfolgreich arbeiten zu können, seien die Fähigkeiten, Vertrauen aufzubauen, die eventuell bei Kollegen und Mitarbeitern vorhandenen Ängste vor notwendigen Veränderungen ernstzunehmen und mit gutem Beispiel voranzugehen.„Meiner Meinung nach ist eine Schule nicht gut von oben herab zu führen“, betont der Vater dreier Söhne. Stattdessen gelte es, auf Augenhöhe miteinander zu reden.

Als Schulleiter müsse man „nach vorne gehen und überzeugen können und auch in der Lage sein, im übertragenen Sinne die Bälle in der Luft zu halten, zeitweise auch mehrere auf einmal.“ Etwa, wenn, wie im Jahr 2015 geschehen, die Anfrage kommt, ob man sich in der Lage sehe, innerhalb von vier Wochen die Infrastruktur aufzubauen, um Flüchtlinge in der Sporthalle, die damit für den Unterricht natürlich ausfiel, zu beherbergen und teilweise auch zu unterrichten.

„Daraus sind die internationalen Förderklassen entstanden, die inzwischen fester Bestandteil unseres Schulkonzeptes sind“, erklärt Thomas Gurdon, der 1986 sein Abitur bestand und im Anschluss eine Lehre zum Bankkaufmann absolvierte, bevor er sein BWL-Studium in Köln startete und dieses mit Diplom und erstem Staatsexamen abschloss.

Demographische Veränderungen

Der Reiz des Amtes liege mitunter in der Komplexität der Aufgaben und der Herausforderung, mit Überraschungen umgehen zu können. Dies beinhalte auch demographische Veränderungen. So lernten im Jahr 2011 in den mehr als 30 Bildungsgängen rund 800 Schülerinnen und Schüler mehr als heute. „Wir müssen der Entwicklung Rechnung tragen, dass inzwischen viel mehr Schüler ins Studium gehen als in eine Ausbildung.

Auf der anderen Seite gibt es Schülerinnen und Schüler, die die Fähigkeiten haben, ein Studium zu absolvieren, aber zum Beispiel aufgrund der Familiengeschichte keinerlei Berührung mit Studium oder Uni haben. Um diese jungen Menschen unterstützen zu können, sind wir die erste Schule innerhalb der Städteregion Aachen, die am Talentscouting teilnimmt, bei dem die Talente vom Schul- bis zum Universitätsabschluss begleitet werden“, so der Lehrer für Wirtschaftsinformatik und alle weiteren Wirtschaftsfächer, der sein Referendariat am Berufskolleg in der Lothringerstraße in Aachen absolvierte

Beim Blick in die Zukunft weiß Thomas Gurdon bereits, dass bei ihm bis in das Jahr 2034 – dann endet sein regulärer Dienst – definitiv keine Langeweile aufkommen wird. Zu groß sind die Aufgaben. Da ist, um nur eine von zahlreichen Baustellen zu nennen, der Fachkräftemangel an Berufsschullehrerinnen und -lehrern, dem es entgegenzuwirken gelte. Doch apropos Baustelle. Der Wiederaufbau nach der Hochwasserkatastrophe, nach der das BKE zeitweise auf sieben Standorte verteilt war, steht über allem.

Dieser biete natürlich auch Chancen, das Berufskolleg noch moderner und zukunftsorientierter aufstellen zu können. Aber: „Jeder, der am Wiederaufbau beteiligt ist, wird im Laufe der Zeit erkennen müssen, zeit- und teilweise überfordert zu sein. Damit wird der Betroffene leben müssen. Deshalb sollten alle Beteiligten bereit sein, Hilfe anzunehmen und sich auch, falls nötig, mal auszuklinken“, ist sich Thomas Gurdon bewusst, dass viel Zeit und Geduld sowie die Fähigkeit, mit Rückschlägen umgehen zu können, notwendig sind und sein werden.

Dabei baut er nicht zuletzt auf seinen Stellvertreter Christoph Happe, mit dem er seit 2014 ein Team bildet. „Im wahrsten Sinne des Wortes. Wir ergänzen uns prächtig, da wir viele Dinge zunächst unterschiedlich sehen, dann aber in der Lage sind, eine gemeinsame Sichtweise zu entwickeln“, macht der Schulleiter deutlich, dass er sich nach einem Jahrzehnt in der Schulleitung des Berufskollegs Eschweiler in einem Grundsatz bestätigt fühlt:„Fachwissen ist wichtig, aber nicht alles. Der Mensch dahinter darf niemals aus den Augen verloren werden!“

Eschweiler 30.12.2021 Andreas Röchter