Zivilcourage hat viele Gesichter – Was bewegt uns 2016

Eine kritische Betrachtung aus deutsch-französisch-russischer Perspektive

Projektarbeit des Berufskollegs Eschweiler der StädteRegion Aachen und der Pskover Staatlichen Universität in Pskov

vom 22. November bis 3. Dezember 2016

von Evi Spennes

Dienstag, 22. November

Unsere russischen Gäste landen dieses Mal am Flughafen Köln-Bonn – allerdings erst um 21:40 Uhr. Die Wiedersehensfreude ist bei den Lehrern sehr groß – für die meisten russischen Schüler ist es das erste Mal, dass sie in Deutschland oder überhaupt im Ausland sind. Gegen 23:30 Uhr kommt unser Transferbus in Eschweiler an, wo die Gastgeber bereits ungeduldig warten. Alle hatten im Vorfeld bereits Kontakt mit ihren russischen Gästen aufgenommen, sodass die „Übergabe“ sehr schnell erfolgt und ich mich mit Olga und Igor, die bei mir übernachten werden, auf den Weg nach Hause machen kann. Nach einem schnellen „Strammen Max“ und dem Austausch der letzten Neuigkeiten gehen alle etwas erschöpft ins Bett.

Mittwoch, 23. November

Um 10 Uhr kommen die deutschen Gastgeber mit ihren Gästen am Berufskolleg an und werden dort von den beiden Kollegen Mareen Mantler und Michael Joußen empfangen, die einen großen Klassenraum bereits ansprechend geschmückt und für die gemeinsame Arbeit ausgestatten haben. Unser Schulleiter, Herr Thomas Gurdon, der im vergangenen Jahr mit in Pskov war, begrüßt die Gäste und übergibt ihnen als Gastgeschenk ein künstlerisch gestaltetes Bild mit Sehenswürdigkeiten der Stadt Eschweiler, das sicherlich in Pskov einen würdigen Platz finden wird. Die ersten Kennenlernspiele verlaufen in einer gelösten Atmosphäre. Das „Speeddating“ brauchen wir nur kurz zu erklären – die Schülerinnen und Schüler kommen wie von selbst ins Gespräch. Nach einer kurzen Pause gehen die russischen Schülerinnen und Schüler mit ihren deutschen Gästen in den Unterricht, um einen Eindruck vom deutschen Unterrichtsgeschehen zu bekommen.

Danach haben alle Hunger – glücklicherweise ist das Eschweiler Steakhaus nicht weit und dort gibt es für relativ wenig Geld ein sehr gutes Mittagsbüffet, wo jeder etwas nach seinem Geschmack findet. Unser ehemaliger Kollege Josef Stiel wartet schon im Restaurant auf uns. Er war vor seiner Pensionierung ebenfalls am deutsch-russischen Austausch aktiv beteiligt und wird im Anschluss an das Mittagessen eine Stadtführung durch Eschweiler übernehmen.

Leichter Nieselregen begleitet uns – glücklicherweise nur während der ersten Viertelstunde, danach wird es trocken und auch nicht zu kalt. Josef zeigt uns zunächst anhand eines Stadtplans am Talbahnhof, wie die Stadt Eschweiler aufgebaut ist. Danach sehen wir uns die recht überschaubaren „Sehenswürdigkeiten“ in Natura an. Nach einer guten Stunde beschließen wir den Rundgang am Marktplatz und der Tag endet für die Schülerinnen und Schüler in den Familien. Wir trinken noch einen Kaffee zusammen und abends fahre ich mit meinem Mann und den beiden russischen Kollegen zum schönsten aller Weihnachtsmärkte nach Schloss Merode, etwa 10 Kilometer von Eschweiler entfernt. Es stellt sich heraus, dass auch noch andere Schülerinnen und Schüler mit ihren russischen Gästen dort unterwegs sind. Nach Glühwein, Reibekuchen und festlicher Weihnachtsbeleuchtung auf dem Weihnachtsmarkt endet der Tag zuhause vor dem Kamin.

Donnerstag, 24. November

Heute müssen wir etwas früher aufstehen, denn schon um 08:15 Uhr fahren wir mit dem Bus zur ehemaligen NS-Ordensburg Vogelsang, die im Nationalpark Eifel liegt. Geplant ist ein eintägiges Seminar zum Thema „Widerstand“ mit dem Ziel der Sensibilisierung für das persönliche und gesellschaftliche Leben. Vor Ort werden wir von Herrn Georg Toporowsky von der Seelsorge im Nationalpark Eifel und Vogelsang zusammen mit Andreas Schneider erwartet. Einstieg in die Thematik des heutigen Tages sind die Beziehungen zwischen Deutschland und Pskov während des Zweiten Weltkrieges. Die wenigsten von uns wussten, dass während des Zweiten Weltkrieges 300.000 Menschen zur Zeit der deutschen Besatzung umgebracht und 11.000 Menschen aus Pskov als Zwangsarbeiter verschleppt wurden. Dies war vor allem in dem Menschenbild der Deutschen während des Krieges verankert, das durch die NS-Ideologie verbreitet wurde. Und hierzu leisteten die NS-Ordensburgen, in denen die NS-Elite ausgebildet worden, einen wesentlichen Beitrag.

Bei einem anschließenden Rundgang durch die Anlage erläutern Herr Toporowski und Herr Schneider, wie die NS-Ideologie sich in der NS-Architektur widerspiegelt. Besonders deutlich wird die menschenverachtende Einstellung gegenüber anderen Nationalitäten und die Betonung der körperlichen Aktivität und Attraktivität. Die Erziehung zum „Herrenmenschen“ ist auch der Inhalt einer Dauerausstellung, die seit der Wiedereröffnung des neuen „Forums Vogelsang IP“ Anfang September über die NS-Zeit informiert. Nach einem gemeinsamen Mittagessen im Seminarraum wird anhand des Kurzfilmes „Schwarzfahren“ die Problematik der Fremdenfeindlichkeit und des Wegsehens thematisiert. Es entsteht eine lebhafte Diskussion über Zivilcourage: Wann und weshalb greifen wir ein und macht es überhaupt einen Sinn, alleine den ersten Schritt zu wagen? Für unsere russische Kollegin Olga ist der Tag aufgrund der ständigen Übersetzungen sehr anstrengend und die Diskussion wird ebenfalls durch die Notwendigkeit der Übersetzung immer ein wenig unterbrochen. Aber dennoch zeigen die Gespräche, dass die Thematik von den Schülerinnen und Schüler als grundlegend wichtig empfunden wird.

Nach der Rückkehr nach Eschweiler gehen die Schülerinnen und Schüler wieder in ihre Familien. Wir sind heute bei unserer Kollegin Mareen eingeladen, die ein leckeres Abendessen vorbereitet hat. Spätestens beim Nachtisch, der viel weiße Schokolade enthält, müssen wir aufgeben. Die deutsch-russische Freundschaft ist lecker, aber wenig figurfreundlich.

Freitag, 25. November

Der Tag beginnt (nach einem opulenten Frühstück) mit einem Workshop zum Thema „Zivilcourage“, das von einer Mitarbeiterin des Kommunalen Integrationszentrums der Städteregion Aachen im Berufskolleg durchgeführt wird. Frau Silke Peters leitet das Seminar mit Olgas sprachlicher Unterstützung. Zunächst stellen die Teilnehmer sich kurz vor, indem sie erzählen, weshalb sie ihre Vornamen erhalten haben. Bei vielen spielten die Namen der Großeltern eine wichtige Rolle. Danach sollen die Schülerinnen und Schüler Zitate zum Thema „Zivilcourage“ auswählen. Obwohl die Zitate auf Deutsch sind, funktioniert die Auswahl recht gut: Deutsche Schülerinnen, die russisch sprechen, unterstützen ebenso bei der Auswahl wie russische Schülerinnen und Schüler, die deutsch sprechen. Auch die Begründungen zeigen, dass Zivilcourage ein Thema ist, das den Alltag junger Leute durchdringt.

Nach einer kurzen Pause arbeiten die Schülerinnen und Schüler in binationalen Kleingruppen zusammen. Auf Metaplankarten halten sie fest, was Zivilcourage eigentlich ausmacht und stellen danach ihre Ergebnisse vor. Hier nutzen sie wieder die vorhandenen russischen und deutschen Fremdsprachkenntnisse, sodass Olga etwas weniger Arbeit hat.

Zum Mittagessen fahren wir mit der Euregiobahn nach Aachen, ins Café M. Dort hat der Mann einer Kollegin ein syrisches Restaurant, und wir können uns an einem köstlichen Büffet bedienen. Mustafa Ahmad unterstützt uns hier schon seit einigen Jahren – immer, wenn wir nach Aachen kommen, statten wir dem Café M. einen Besuch ab und werden dort sehr herzlich empfangen.

Als Verdauungsspaziergang hat Mareen eine kurze Stadtführung durch Aachen vorbereitet. Wir gehen vom Elisenbrunnen in die Innenstadt, zum „Aachener Fenster“, zum Markt und zum Rathaus. Allerdings ist es sehr voll, denn es ist das erste Adventswochenende, und der Weihnachtsmarkt zieht nicht nur russische Gäste aus Pskov in die Stadt. So gehen wir noch abschließend zum Dom und sehen uns das Innere der Kirche an. Mittlerweile ist es schon so spät, dass für uns keine Zeit mehr für einen weiteren Stadtspaziergang bleibt. Wir nehmen den nächsten Bus nach Eschweiler, denn abends hat unser Schulleiter, Thomas Gurdon, uns zu sich nach Kerpen-Buir eingeladen: die russischen Gäste ebenso wie alle „Projektmitarbeiter“ mit ihren Partnern. Es ist ein großer gedeckter Tisch bei Familie Gurdon, und die drei Söhne kümmern sich um den „Service“. Nach kleinen Häppchen gibt es eine köstliche Kürbissuppe und danach wartet ein überdimensionaler Puter auf uns, der von Thomas Gurdon fachmännisch zerlegt wird. Die Essensaufnahme wird – ganz nach russischer Art – von etlichen Trinksprüchen unterbrochen. Vor dem Nachtisch verteilt unser Schulleiter nicht nur Gastgeschenke an Igor und Olga, sondern auch an seine aktiven Mitarbeiter, die dafür sorgen, dass die deutsch-russische Freundschaft nicht nur auf dem Papier besteht. Das Dessert schmeckt danach um so besser.

Samstag, 26. November

Köln steht heute auf dem Programm. Wir fahren mit dem Zug ab Eschweiler Hauptbahnhof und sind gegen 10:15 Uhr in Köln. Nachdem Michael im Tourismusbüro Stadtpläne geholt und verteilt hat, gibt er der Gruppe im Domforum einen ersten Überblick über die wichtigsten Daten zur Stadt Köln. Danach hat jeder die Gelegenheit, sich den Dom anzusehen. Es ist so voll, dass eine russische Teilnehmerin mich fragt, ob der Dom eine rein touristische Einrichtung sei oder ob es dort auch Gottesdienste gebe. Danach setzen wir unseren Stadtrundgang fort, der von Michael angeleitet und von Olga übersetzt wird. Um die Mittagszeit vereinbaren wir einen Treffpunkt am Nachmittag, sodass alle die Gelegenheit haben, Köln in Kleingruppen auf eigene Faust zu erkunden. Für die russischen Teilnehmer ist die Vielfalt der Weihnachtsmärkte eine neue Erfahrung – hier ist es allerdings weniger ruhig und friedvoll als im Schloss Merode.

Die Schüler erhalten Geld für das Mittagessen und wir Lehrer gehen in das Brauhaus zur Malzmühle – den russischen Kollegen ist es wichtig, typische Produkte der Region kennenzulernen. Natürlich muss auch das Mühlenbier probiert werden, damit wir genug Kraft für die anstehenden Besuche der Kaufhäuser und des Weihnachtsmarktes haben. Als wir uns mit den Schülerinnen und Schülern zum vereinbarten Zeitpunkt am Bahnhof treffen, sind alle müde aber sehr zufrieden ob der vielen neuen Eindrücke. Primark hat vermutlich den besten Umsatz des Jahres getätigt.

Den Abend verbringen wir Lehrer bei unserem Kollegen Michael. Seine Frau Tina hat ein wohlschmeckendes Abendessen mit mehreren Gängen vorbereitet. Auch unser Schulleiter ist wieder mit seiner Frau dabei. Bei vielen interessanten Gesprächen endet der Abend bei Michael gegen Mitternacht. Aber morgen ist ja ein „freier“ Tag.

Sonntag, 27. November

Kein Programm! Das Frühstück fällt heute sehr ausführlich aus und gegen 11 Uhr fahren wir zunächst einmal zu meiner Mutter, die Olga und Igor auch schon seit Jahren kennt. Es ist ihr leider zu anstrengend, uns zum Töpfermarkt zu begleiten, der immer am ersten Adventswochenende stattfindet. Der Markt mit vielen künstlerischen Töpferei- und Schmuckartikeln gruppiert sich um das Töpfereimuseum im nahe gelegenen Ort Langerwehe. Da ich es in diesem Jahr kaum noch schaffen dürfte, das obligatorische „Weihnachtspäckchen“ für Russland zu packen und zu verschicken, dürfen sich beide verschiedene Artikel, die ihnen gefallen, aussuchen. Das wird sowohl von Olga als auch von Igor gerne angenommen, und ich weiß, dass sie beim Gebrauch von Zuckerdose und Bierkrügen immer an den Aufenthalt bei uns denken werden.

Nach Reibekuchen, Currywurst und einer kurzen Mittagspause bei mir zu Hause fahren wir nachmittags in die Eschweiler Innenstadt. Dort ist an diesem Wochenende eine große Kunstausstellung, die „Art Open“. Künstler aus Eschweiler und Umgebung stellen in leerstehenden Verkaufsräumen (und davon gibt es leider in Eschweiler viele) ihre Werke aus. Auch mein Mann Georg ist dieses Mal aktiv dabei als Schüler des Holzbildhauers Gerd Larsen. Daher ist es selbstverständlich, dass wir uns die Ausstellung ansehen und Georgs Atelier besuchen. Der Abend endet ruhig zuhause bei Zwiebelkuchen und Kaminfeuer.

Die Schülerinnen und Schüler sind ebenfalls viel unterwegs an ihrem freien Tag. Eine Schülerin fährt zum Beispiel mit ihrer Familie und der Gastschülerin nach Luxemburg. Eine andere russisch-stämmige Gastgeberin ist mit ihrem russischen Gast vormittags in einen russischen Gottesdienst gegangen. Alle haben in dieser ersten Woche viele Eindrücke gewonnen und freuen sich jetzt schon auf ihre Woche in Otzenhausen.

Montag, 28. November

Leider hat einer der deutschen Schüler sich wegen einer Magen-Darm-Erkrankung kurzfristig krankgemeldet, aber alle anderen sind pünktlich am Bus. Es fließen einige Abschiedstränen, weil von den deutschen Gastgebern nur zwei weiter mit nach Otzenhausen fahren. Die anderen deutschen Teilnehmerinnen und Teilnehmer sind Schülerinnen und Schüler der Höheren Handelsschule. Leider sind – wie auch in den vergangenen Jahren – nur wenige Gastschüler dazu bereit oder finanziell in der Lage, sowohl Gäste aufzunehmen als auch nach Russland und Otzenhausen zu fahren. So müssen wir wieder auf eine andere Schülergruppe zurückgreifen, die Interesse an der Seminarthematik und an der trinationalen Begegnung in Otzenhausen haben.

Bereits um 14 Uhr kommen wir an der Akademie an. So bleibt Zeit genug, die Zimmer zu beziehen und die nähere Umgebung zu erkunden, denn die französische Gruppe wird erst gegen 17 Uhr erwartet. Leider konnte in diesem Jahr unsere Partnerschule, das Lycée Lamarck aus Albert, nicht an dem Treffen teilnehmen, weil die begleitende Lehrerin, Frau Cazzulino, langfristig erkrankt ist und sich kein Ersatz innerhalb der Schule finden ließ. Glücklicherweise gelang es der Akademie, kurzfristig eine französische Schule für das Treffen zu gewinnen: SFA SFPR aus Annonay bei Lyon, eine Berufsbildende Schule mit Ausbildungsmöglichkeiten in den unterschiedlichsten Fachbereichen. Teilnehmer sind französische Auszubildende im Automobilbereich: Mechaniker und Lackierer. Das verspricht, eine interessante Woche zu werden.

Die jungen Männer kommen mit ihren beiden Lehrern gegen 17 Uhr an und nach einem Kaffee im Stehen stellt sich das Team im großen Konferenzraum vor: Antje Brandt als Seminarleiterin, eine französische und eine russischer Teamerin, jeweils zwei Dolmetscher für Französisch und Russisch. Die russischen Dolmetscher Willi/Vitali und Alexander sind uns aus den Veranstaltungen der Vorjahre schon gut bekannt, und wir freuen uns über die erneute Begegnung. Die Schülerinnen und Schüler lernen danach in einem Rundgang durch die Akademie die Räumlichkeiten kennen. Es ist in den letzten beiden Jahren viel passiert. So wurde der doch etwas in die Jahre gekommene Raum „Luxemburg“ durch ein völlig neues Gebäude ersetzt. Hier befinden sich jetzt zwei attraktive Räume mit Musikanlage und Sitzgelegenheiten und weitere Räume mit Tischtennis-Platte, Billard und Tischfußball. Es gibt sogar einen kleinen Fitness-Raum, der von allen Seminarteilnehmern genutzt werden kann.

Das Abendessen in Büffet-Form findet am ersten Tag eine halbe Stunde später als gewöhnlich statt. Danach ist aber noch nicht Schluss: Die Teilnehmer treffen sich wieder im großen Konferenzraum und die Teamerinnen haben verschiedene Spiele zum Kennenlernen vorbereitet. Nach einer guten Stunde sind die ersten Annäherungsschwierigkeiten überwunden. Ein wenig schwierig ist, dass die geplante Kommunikation auf Englisch nur sehr schlecht funktioniert, weil die Franzosen kaum englisch sprechen (deutsch überhaupt nicht) und die russischen Schüler sich ebenfalls mit der englischen Sprache schwer tun, während sie zum Teil recht gut deutsch sprechen. Aber es gibt ja auch den berühmten „Google Übersetzer“ und W-LAN ist im ganzen Haus vorhanden.

Dienstag, 29. November

Die erste Nacht verläuft erfreulicherweise ruhig und alle treffen mehr oder weniger wach zum Frühstück ein. Allerdings wird dann doch festgestellt, dass in den Jugendräumen einige Schäden zu beklagen sind. Da neben unserer Gruppe auch noch ein Seminar mit deutschen und französischen Landwirten im Raum war, kann niemand ermittelt werden, der sich dafür verantwortlich zeigt. Das Seminar beginnt mit einigen „Aufwärmübungen“, die von den beiden Teamerinnen Alexandra und Steffi angeleitet werden. Unter anderem sollen sich die Schülerinnen und Schüler zusammensetzen, die bisher noch kein Wort miteinander gewechselt haben, und bestimmte Vorlieben ihres Partners erraten. Anschließend wird darüber gesprochen, an welchen „äußeren Merkmalen“ man eine Person einschätzt. Manche haben sogar alle Präferenzen ihres Partners richtig „erraten“. Von hier aus erfolgt die Überleitung zum großen Themenbereich des heutigen Tages: der interkulturellen Kommunikation.

Anhand des „Eisbergmodells“ macht die Seminarleiterin deutlich, dass nur wenige interkulturelle Unterschiede für jeden sichtbar sind, sondern dass der größte Teil – wie die Eisberge – unsichtbar bleiben. Werte und Einstellungen sind nicht auf den ersten Blick zu erkennen und erfordern eine intensivere Auseinandersetzung mit der jeweils anderen Kultur. Zahlreiche Beispiele werden von den Schülerinnen und Schülern genannt, ehe die Problematik an dem Spiel der „Albatrossianer“ verdeutlicht wird. Anhand des Verhaltens zweier „Bewohner“ der Insel Albatross, die im Vorhinein instruiert wurden, sollen die Schülerinnen und Schüler als Beobachter herausbekommen, welche Regeln auf Albatross gelten. Bei der anschließenden Diskussion wird deutlich, dass die meisten davon ausgehen, dass auf Albatross testosterongesteuerte Alpha-Männchen das Sagen haben und einige der männlichen Teilnehmer sich wünschen, auf dieser Insel leben zu können. In Wirklichkeit haben jedoch hier die Frauen das Sagen und werden von ihren Männern beschützt und auf Händen getragen. Aufgrund unserer kulturellen Vorerfahrungen neigen wir jedoch dazu, die sichtbaren Handlungen nach unseren Maßstäben zu interpretieren.

Die Überleitung zum Themenkomplex „Zivilcourage“ erfolgt über einen Fragebogen:„Risiko eingehen“ – wofür würde ich mich einsetzen? Vor allem Familie, Freunde und Religion sind hier für die Gruppe von besonderer Bedeutung. Nach der Mittagspause wird an diesem Thema intensiver weitergearbeitet. Es werden Plakate in trinationalen Kleingruppen erstellt, die durch einen Fragenkatalog angeleitet sind und sowohl eine Definition als auch Beispiele für Zivilcourage enthalten. Die Präsentation der Plakate erfolgt über einen „Galeriegang“, an den sich eine Diskussion zum Thema „Zivilcourage“ anschließt.

Bei der sich anschließenden Tagesevaluierung wird deutlich, dass die heutigen Arbeitssitzungen manche der Schülerinnen und Schüler doch etwas überfordert haben. Einige finden den Tag interessant, während er anderen zu anstrengend und anderen wiederum zu langweilig war. Durchweg positiv sind die Rückmeldungen der russischen Gruppe, die mit den teamorientieren Arbeitsformen gut umgehen konnte und sich engagiert einbrachte.

Nach dem Abendessen findet in den Jugendräumen ein „internationaler Markt“ statt. Die russischen und französischen Teilnehmer präsentieren ihre Region und ihre schulischen Einrichtungen über verschiedene Videos, und die deutsche Gruppe hat kulinarische Spezialitäten mitgebracht. Da unsere Gruppe mit türkischen, marokkanischen, russischen und portugiesischen Schülerinnen und Schüler sehr international ist, ist das Speisenangebot sehr abwechslungsreich. Die meisten gehen heute etwas früher zu Bett, weil am nächsten Tag schon um 06:15 Uhr gefrühstückt werden soll – es ist ein ganztägiger Ausflug nach Straßburg geplant.

Mittwoch, 30. November

Nach einem sehr zeitigen Frühstück geht um 7 Uhr die Fahrt nach Straßburg los. Auch wenn nicht alle Schülerinnen und Schüler es zum Frühstück schaffen, sind doch alle pünktlich zur Abfahrt im Bus. Die Hinfahrt verläuft sehr ruhig, weil alle noch müde sind und kurz vor 10 Uhr hält der Bus vor dem Europarat. Nach ein paar Gruppenfotos vor den Fahnen der Mitgliedsstaaten gehen wir durch die Sicherheitsschleuse in den Eingangsbereich. Dort erwartet uns unsere Führerin, die uns zunächst in den Filmraum geleitet und nach einigen einführenden Erläuterungen einen Film zu den Aufgaben des Europarats in englischer Sprache zeigt. Danach gehen wir in den Plenarsaal und erfahren viele Details über die Zusammensetzung des Europarats und weshalb die europäische Flagge nur 12 Sterne hat: 12 ist die „perfekte Zahl“. Ein kurzer Spaziergang zum Europaparlament komplettiert die heutige Begegnung mit den europäischen Institutionen in Straßburg. Leider können wir nicht in den Innenhof des Gebäudes, weil in Straßburg alle Einrichtungen streng bewacht werden. Überhaupt fällt uns die große Polizeipräsenz in den Straßen auf. Man merkt, dass in Frankreich noch immer der Ausnahmezustand herrscht. Viele Polizisten sind auch bewaffnet und zeigen dies.

Der Bus setzt uns im Zentrum von Straßburg ab und wir gehen zum „Kuttelplatz“ – dort sollen wir uns kurz vor 18 Uhr wieder einfinden, um zum gemeinsamen Abendessen zu gehen. Vorher hat ein jeder 10 Euro für das Mittagessen erhalten, sodass für die meisten der Tag finanziell gerettet ist. Die Schülerinnen und Schüler wurden am Tag vorher in Kleingruppen unterteilt, die jetzt in der Stadt eine Rallye mit unterschiedlichen Aufgaben durchführen sollen. Hierbei müssen sie Fotos mit unterschiedlichen Personen machen für die es verschiedene Punktzahlen gibt. Dies hat sicherlich auch viel mit Mut zu tun.

Wir Lehrer gehen zuerst gemeinsam in eine Crêperie und danach zu den diversen Weihnachtsmärkten. Es ist weihnachtlich kalt, und wir müssen uns zwischendurch immer innerlich und äußerlich aufwärmen. Aber endlich haben wir einmal genügend Zeit, um Straßburg genauer zu erkunden und die besondere weihnachtliche Atmosphäre auf uns wirken zu lassen. Um 18 Uhr gehen wir gemeinsam zu einem Restaurant in der Innenstadt, wo es ein klassisches Elsässer Flammkuchen-essen gibt. Wir können verschiedene Arten von Flammkuchen ausprobieren und uns natürlich hervorragend aufwärmen, ehe es zurück zum Bus geht. Erst gegen 22:30 Uhr kehren wir zur Akademie zurück. Die meisten sind müde und gehen ins Bett – nur ein gewisser „harter Kern“ begibt sich noch in die Jugendräume, wobei manche noch bis in die Morgenstunde die deutsch-französisch-russischen Kontakte in informeller Atmosphäre intensivieren.

Donnerstag, 1. Dezember

Die ersten Aufwärmspiele des Tages finden im Konferenzraum statt – draußen ist es offensichtlich doch etwas zu kalt. Eine kurze Evaluierung des Vortages in Straßburg ergibt, dass alle im Wesentlichen sehr zufrieden mit dem Aufenthalt in der Stadt waren. Der Europarat wurde von einigen zwar als „ganz in Ordnung“ aber „nicht sehr spannend“ charakterisiert und aufgrund der geringen Temperaturen taten sich einige etwas schwer damit, sich so lange in der Stadt aufzuhalten. Aber insgesamt war der Tag im Rückblick ein voller Erfolg.

Danach stellt Frau Brandt das Programm des heutigen Tages vor. Es geht weiter mit dem „Theater der Unterdrückten“ – eine Vorgehensweise zur Lösung von sozialen Problemen, die von Augusto Boal initiiert wurde. Problemsituationen sollen in szenischen Darstellungen umgesetzt und danach gemeinsam reflektiert werden. Die Szenen werden so lange in abgeänderter Form wiederholt, bis alle mit der Problemlösung zufrieden sind. Nach einer kurzen Aufwärmübung werden einzelne Szenen in nationalen Gruppen geübt. Jede Gruppe erhält zwei Situationen:

  • In einer Familie eskaliert die Situation, weil der Sohn eine Freundin mit Migrationshintergrund mitbringt.
  • In einer Schulklasse wird ein Schüler gemobbt und von den anderen greift keiner ein.
  • Gruppe 3: Theaterstück zum Thema „Gleichheit“
  • Gruppe 4: Vorstellung der Werte anhand von verschiedenen Teilen des Autos (französische Gruppe der Automechaniker und Lackierer)
  • Gruppe 5: Sketche zum Thema „Frieden“
  • Gruppe 6: Theaterstück zum Thema „Respekt“

Nachher kehren alle Gruppen wieder ins Forum zurück und die deutsche Gruppe stellt ihre Lösung bezüglich des Mobbings vor, in der die Lehrperson eingreift und die Schüler sich letztendlich entschuldigen. Die Lösung wird – ebenso wie die erste Situation und weitere Beispiele aus dem alltäglichen Leben – in der Gesamtgruppe diskutiert, ehe es zum Mittagessen geht.

Nach der Pause haben die Schülerinnen und Schüler erst einmal Gelegenheit, ihre Fotos von der Rallye in Straßburg in Kleingruppen zusammenzutragen und in kleinen Präsentationen zusammenzustellen. Die Präsentationen werden an die Seminarleitung geschickt und sollen später vorgestellt werden.

Den letzten Programmpunkt des heutigen Tages ist das Vorstellen von Personen mit Zivilcourage. Die Kleingruppen erhalten Textmaterial zu verschiedenen Personen, die besonders durch ihren Mut zum Widerstand bekannt geworden sind. Bei den Personen handelt es sich um

  • Nelson Mandela
  • Martin Luther King
  • Mahatma Ghandi
  • Sophie Scholl
  • Malala Yousafzai
  • Anni Lanz

Die Schülerinnen und Schüler verbringen einen Teil des Nachmittags damit, das Material zu sichten und Plakate zu den einzelnen Personen zu erstellen, die anschließend im Plenum den anderen vorgestellt werden.

Nach dem Abendessen nimmt ein Großteil der Schülerinnen und Schüler am Karaoke-Singen im Forum teil. Es werden deutsche, russische, französische, türkische und arabische Lieder gesungen und dazu tanzen alle in ausgelassener Stimmung. Eine andere Gruppe ist auf der Kegelbahn im Bistro. Nach den gemeinsamen Aktivitäten gehen einige noch in den Jugendraum und auch dort wird des wieder relativ spät. Glücklicherweise hören wir im Hauptgebäude nichts von der Feierei im Jugendraum.

Freitag, 2. Dezember

Nach einem kurzen Aufwärmtraining wird das heutige Programm bekannt gegeben. Zunächst werden die Arbeitsblätter für den heutigen Tag verteilt. In einem ersten Schritt sollen die Teilnehmer mindestens zwei Symbole oder Bilder zu vorgegebenen Werten wie Freiheit, Frieden oder Respekt zeichnen, die danach einander vorgestellt werden. Im Anschluss daran arbeiten die Schülerinnen und Schüler in Kleingruppen weiter. Sie sollen einen der Werte aussuchen und dazu eine Situation wählen, in der dieser Wert missachtet wird. in einem zweiten Schritt soll eine mögliche Handlungsoption aufgezeigt werden. In welcher Form die Ergebnisse vorgestellt werden, ist den Gruppen freigestellt.

Nach dem Mittagessen und einer Wanderung zum Stausee, an der jedoch im Wesentlichen nur Lehrer, Teamer und Dolmetscher teilnehmen (und sich verspäten), werden die Ergebnisse der einzelnen Gruppen vorgestellt und dann erläutert:

  • Gruppe 1: Gedichte zum Thema „Respekt“ in deutscher und russischer Sprache
  • Gruppe 2: Film zum Thema „Toleranz“
  • Gruppe 3: Theaterstück zum Thema „Gleichheit“
  • Gruppe 4: Vorstellung der Werte anhand von verschiedenen Teilen des Autos (französische Gruppe der Automechaniker und Lackierer)
  • Gruppe 5: Sketche zum Thema „Frieden“
  • Gruppe 6: Theaterstück zum Thema „Respekt“

Die Auswertung der Stadtrallye besteht darin, dass die Bilder der Gewinnergruppe im Plenum ebenso gezeigt werden wie ein Video, das sie in Straßburg gedreht haben. Eine Gruppe hat eine Fotopräsentation mit den Ergebnissen der Fotorallye gemacht.

Da einer der russischen Dolmetscher, Alexander, schon um 18 Uhr weg muss, kommen nun alle Dolmetscher aus ihren Kabinen ins Plenum und wir danken ihnen, den Teamerinnen und natürlich der Seminarleiterin Frau Brandt mit kleinen Geschenken für die interessante und gut organisierte Seminarwoche.

Nach einer kurzen Pause erfolgt zunächst die Evaluierung des Tages auf den bereits bekannten Bögen und dann die Gesamtbetrachtung. Einmal sollen die Teilnehmer durch eine Punktabfrage ihre Meinung zu einzelnen Aspekten des Seminars dokumentieren. Außerdem gibt es weitere Evaluierungsbögen in drei Sprachen, die jeder anonym ausfüllt. Den Höhe- und Schlusspunkt setzt der deutsche Schüler Marco Wirtz mit seinem Video über unsere Seminarwoche, das er in mühevoller Kleinarbeit mit Hilfe von Igors Fotos erstellt hat und das mit Begeisterung von allen Teilnehmern beklatscht wird.

Für den Abend haben sich einige der deutschen Teilnehmer dazu bereit erklärt, einen Abschlussabend vorzubereiten. Sie besorgen die Getränke und kümmern sich um die Musik, die an diesem Abend schwerpunktmäßig türkisch/marrokanisch sein wird. Aber auf diese Rhythmen können sich alle gut einlassen. Vorher setzen wir Lehrer uns noch mit Antje Brandt zusammen und überlegen, wie die weitere Zusammenarbeit gestaltet werden kann. Es ist uns dabei klar, dass eine Gruppe mit handwerklicher Orientierung nicht unbedingt in unser Projektprofil passt und dass wir entweder wieder mit unserer französischen Partnerschule oder mit einer anderen französischen Schule teilnehmen möchten. Es erscheint uns sinnvoll, das Seminar trinational zu halten, weil die positive Resonanz der Schülerinnen und Schüler bezüglich der internationalen Zusammenarbeit und dem Kennenlernen anderer Kulturen besonders groß war. Die Franzosen meinten, besonders neugierig auf „die Russen“ gewesen zu sein und nun ein völlig anderes Bild von Russland mitnehmen würden, weil sie die Gruppe als kooperativ, engagiert und freundlich erlebt haben.

Dieses Interesse an den anderen Nationen muss bei einem nächsten Treffen im Vordergrund stehen. Wir schlagen daher vor, das Thema „Jugend in Europa – Perspektiven und grenzüberschreitende Möglichkeiten“ in den Mittelpunkt zu stellen. Hierbei sollten zunächst die Ausbildungsmöglichkeiten in schulischer und beruflicher Hinsicht in den drei Ländern verglichen werden, um dann aufzuzeigen, welche Möglichkeiten es gibt, auch in anderen Ländern diese Ausbildung fortzusetzen und mit anderen besser in Kontakt zu kommen. Frau Brandt wird mit der Seminarleitung abklären, ob ein solches Seminar für den November 2018 realisiert werden kann.

Bei der Abschlussfeier stehen uns die Jugendräume erfreulicherweise alleine zur Verfügung und es wird getanzt und viel erzählt. Die französische Gruppe muss ein wenig früher aufhören, da sie am nächsten Morgen bereits um 07:10 Uhr an der Akademie abgeholt wird. Unsere Abfahrt ist glücklicherweise erst für 09:30 Uhr geplant.

Samstag, 3. Dezember

Die Nacht war für einige doch relativ lang, aber alle sind pünktlich um 9 Uhr an der Rezeption, um die Zimmerschlüssel abzugeben. Erfreulicherweise sind unsere Zimmer alle in einem guten Zustand und auch der Jugendraum ist ordentlich zurückgelassen worden. Bedauerlich bei der Abreise ist nur, dass ungeklärt bleibt, wer die Schäden im Jugendraum zu Beginn der Woche verursacht hat und wer dafür aufkommt. Natürlich will niemand die Schuld dafür auf sich nehmen – aber ich glaube auch nicht, dass unsere deutsch-russische Gruppe hier beteiligt war, da die meisten an dem besagten Abend schon früh auf ihren Zimmern waren und auch während der gesamten Wochen nicht zur Randale und Schäden neigten. Bleibt abzuwarten, wie die Schäden geregelt werden.

Der Bus steht pünktlich vor der Tür, aber wir müssen noch ein wenig warten, weil der Busfahrer seine Pausenzeiten einhalten muss. Aufgrund der günstigen Verkehrssituation sind wir nach einer kurzen Pause schon um 12:30 Uhr in Köln am Flughafen, wo wir unsere russischen Freunde verabschieden. Glücklicherweise werden wir uns zum Teil ja schon Anfang März wiedersehen. Der Flug nach Riga geht erst gegen halb fünf, sodass unsere russischen Freunde noch genügend Zeit haben, sich auf dem Flughafen zurecht zu finden. Wir kommen kurz vor 14 Uhr in Eschweiler an und werden dort von unseren Freunden und Familien abgeholt. Alle sind sich einig, dass die Woche in Otzenhausen ein unvergleichliches Erlebnis war, bei dem viele Freundschaften geschlossen und viele interessante Einblicke in das Thema „Zivilcourage“ gewonnen wurden. Aber alle freuen sich jetzt auch auf ein erholsames Wochenende mit weniger Aktivitäten.